Die Anerkennung der Macht der Philologie gleicht dem Genuß eines sprengenden und faszinierenden, eines wunderschönen und intellektuell herausfordernden Feuerwerks mit all seinen special effects.
Philologie ist seit mehr als zwei Jahrtausenden die Beschränkung auf die
Pflege historischer Texte gewesen, wie sie für die eher bescheidenen Nachgeborenen
von "großen Epochen" in der westlichen Kultur typisch war. Philologie konzentriert
sich auf das Sammeln, Restaurieren, Rekonstruieren und Kommentieren von
Texten aus meist entlegenen Vergangenheiten. Sieht man von wenigen, eher
anekdotischen Ausnahmen ab, so hat Philologie als historische Textpflege
nie einen Hauch von politischer Macht besessen. Fern von aller Politik
liegt die Macht der Philologie vielmehr in einem Potential ihrer Praktiken,
mit dem sie - oft ganz gegen Selbstverständnis und Intention der Philologen
- deren Begierden und Körper gegenwärtig werden läßt. Hinter dem Sammeln
von Texten zum Beispiel steht die Begierde, sich diese einzuverleiben;
hinter dem Restaurieren von Texten der Wunsch, sie zu verkörpern; hinter
dem Kommentieren von Texten die Sehnsucht nach einer Materialisierung unbegrenzter
Wissensfülle. Und sobald die Macht der Philologie die Präsenz der Körper
heraufbeschworen hat, erlaubt sie es den Philologen, dem Tod den Rücken
zuzukehren und sich einer schier unendlichen Komplexität des Erlebens durch
Texte zu öffnen. In seinem neuen Buch bezieht Hans Ulrich Gumbrecht eine
prägnante Position zwischen den neuen, durch stetige Expansion vom Konturenschwund
bedrohten Kulturwissenschaften und der Tradition einer selbstgenügsamen
Konzentration allein auf Texte; eine Position auch zwischen der so leicht
ins Predigen geratenden Interpretation (samt ihrer philosophisch-hermeneutischen
Absegnungen) und der längst zu einem kanonisierten Verfahren abgestumpften
Dekonstruktion.