"Herr Venus" von Rachilde ist ein Schlüsselwerk der französischen Dekadenzliteratur, das den Leser mit seiner kühnen, sinnlichen und zugleich verstörenden Atmosphäre in eine Welt voller Leidenschaft, Geheimnisse und verbotener Sehnsüchte entführt. Die Autorin, berühmt für ihren eigenwilligen Stil und ihren unverhohlenen Umgang mit Tabus, erschafft in diesem Roman eine faszinierende Studie der Ambivalenz von Geschlecht, Begehren und Macht.
Im Mittelpunkt steht Raoule de Vénérande, eine reiche und extravagante Pariser Aristokratin, die sich über die Normen ihrer Zeit hinwegsetzt. Sie begegnet Jacques Silvert, einem sanften, androgynen Blumenhändler aus einfachen Verhältnissen. Zwischen den beiden entspinnt sich eine ungewöhnliche, leidenschaftliche Beziehung, in der Raoule nicht nur die Rolle des aktiven Parts übernimmt, sondern Jacques zunehmend in eine weibliche, unterwürfige Position drängt. In einem raffinierten Wechselspiel von Verführung und Unterwerfung verschwimmen die Grenzen von Geschlecht und Identität, Macht und Ohnmacht.
Rachilde schildert dieses 'amour fou' mit einer Sprache, die sowohl von Sinnlichkeit als auch von einer gewissen Kühle und Ironie geprägt ist. Die intensiven Dialoge und suggestiven Bilder tauchen den Roman in eine Atmosphäre elektrisierender Erotik und latenter Bedrohung. "Herr Venus" ist weit mehr als ein einfacher Liebesroman: Es ist ein radikales, verstörend schönes Werk über die Sehnsucht nach Selbstauflösung, die Lust am Rollentausch und die Gefahren der totalen Hingabe.
Mit "Herr Venus" schafft Rachilde ein literarisches Meisterwerk, das Fragen nach Geschlecht, Identität und Begehren auf höchst originelle und anziehende Weise verhandelt - und das seine Leser*innen nicht unberührt lässt.